2022-03-13 | In neuem Licht

Noch bevor Kinder auf Urlaubsfahrten mit Unterhaltungselektronik bei Laune gehalten wurden, gab es dafür analoge Lösungen, die auch ohne Strom funktionierten. Zu ihnen gehörte ein Spiel, das auch heute noch bei Kindern ganz beliebt ist und das sich aus zurückliegenden Nidento- und DVD-freien Zeiten bis heute erhalten hat. Beim Stau auf der Autobahn oder im Wartezimmer hilft es, die Langeweile zu besiegen: „Ich sehe was, was Du nicht siehst!“ Einfach, unkompliziert und unterhaltsam.

„Ich sehe was, was Du nicht siehst“ könnte auch so etwas wie die Überschrift über dem Bericht von der Verklärung Christi sein, die sich – wie wir heute gehört haben – auf dem Berg Tabor zugetragen hat.
Christus will, dass die von Ihm auserwählten Apostel Petrus, Jakobus und Johannes dort etwas sehen, was nicht jeder sehen kann. Sie waren bereits als einzige der Jünger dabei, als Er die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus vom Tod auferweckt hatte, und nun möchte der Herr, dass sie Seine Gottheit sehen können, Seine Herrlichkeit, Seine übernatürliche Schönheit, also etwas, das nicht jeder zu sehen bekommt, ja mehr noch, etwas, niemand überhaupt jemals zu sehen bekam. Bislang hatten sie ja nur Seine irdische, menschliche Seinsweise kennengelernt. Dass Er Gottes Sohn ist, hatten sie bis jetzt nur durch den Glauben annehmen können, durch das Wort Christi, durch das also, was Er ihnen gesagt hatte.

Nun dürfen sie es sehen, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, der über den Zeiten und Welten steht, der unangefochten und unangetastet von der Vergänglichkeit des Irdischen ist.
Sie sind so zufrieden in dieser ungeahnt seligen und wohligen Atmosphäre, dass sie alles um sich herum vergessen und sogar einschlafen – sorglos und geborgen.
Als sie wieder erwachen, sehen sie unverändert die Umstrahlung ihres Meisters, Seine überirdische und lichtvolle Schönheit. Und bei Ihm Mose und Elija. Kein Wunder, daß Petrus gleich drei Hütten bauen will, um den Zustand des Glücks, der Verklärung, des Himmels festzuhalten.

Das allerdings gelingt nicht. Die Szene erfährt eine Wandlung. Eine Wolke hüllt alle ein und lässt das Geschehen in einem geheimnisvollen Dunst verschwinden. Das vor ihren Augen strahlende Licht des Himmels wird umwölkt und ihnen entzogen. Sie sollen erfahren, dass es den Himmel gibt, aber sie sollen auch erfahren, dass der Himmel auf der Erde nicht festgehalten werden kann, und zwar ganz einfach deswegen, weil der Himmel kein Teil der Erde ist.
Schließlich hören sie eine Stimme, die ihnen eine Weisung gibt: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf Ihn sollt ihr hören.“ Dann ist das Ereignis auch schon vorbei und es gilt, ins Tal zurückzukehren.

Petrus, Jakobus und Johannes sind nachhaltig beeindruckt – „geflasht“ würde man heute sagen – so sehr, dass sie erst einmal niemandem davon erzählen. Was hätten auch die anderen sagen sollen, wenn sie nach dem Motto „Ich sehe was, was Du nicht siehst!“ den anderen von der Begebenheit auf dem Berg Tabor berichtet hätten? Sicher hätte man sie für hysterisch gehalten oder für Betrüger oder einfach nur für Wichtigtuer, die unter den anderen Aposteln einen besonderen Platz einnehmen wollten. Und doch haben sie das Erlebte nicht einfach verdrängt oder vergessen. Sie haben es vielmehr in ihrem Herzen nicht mehr losgelassen. Denn sie wußten ja nun – mehr als die anderen – dass der Herr Recht hatte mit dem, was Er ihnen schon offenbart hatte. Dass Er nämlich Gott ist. Und dass Er den Himmel aufschließen wird für alle, die das glauben.

Die Apostel steigen nicht nur wie Belehrte später den Berg wieder hinab, sondern als Berührte. Sie sind in ihrem Herzen angerührt durch das, was sie gesehen und erlebt hatten. – etwas, das keiner zuvor je gesehen hatte. Wenn sie später noch ordentlich gerüttelt und geschüttelt werden würden von der Erfahrung der Passion und des Kreuzes Christi, dann würden sie diese Gewissheit in ihrem Herzen haben, dass der Herr nicht einfach ein umstrittener aber liebenswerter Wanderpredigergesell ist mit der Lizenz zur Weltverbesserung, sondern der Kyrios, der Herr, der König, der Sohn des lebendigen Gottes. Und dass Sein Tod mehr sein würde, als das Scheitern eines Idealisten.

Die Kirche legt uns diesen Text bewusst in der Fastenzeit vor. Denn wir sollen inmitten der Zeit des Kreuzes, des Kreuztragens und des Leidens auf das schauen, was all das Leid überhaupt erst ertragen lässt. Es ist die Gewissheit des Herzens, dass das Leid nicht das letzte Wort behalten wird. Wie ausweglos und verfahren auch unser Leben manchmal sein kann, es gibt da diese Wirklichkeit über allem: der Himmel ist schon da. Er ist auch dann schon da, wenn das Leben höllisch zu sein scheint. Das hat der Herr selbst den drei Aposteln offenbart.

Und deswegen wirft das heutige Evangelium ein wichtiges Licht auch auf das Apostelamt als solches. Die Apostel sind diejenigen, die das, was in ihrem Herzen als Glaube liegt, der Welt zugänglich machen sollen. Damals haben sie nach der Auferstehung Christi mit Überzeugungskraft und Mut die Menschen ihrer Tage mitgenommen – auf den Berg Tabor – und haben ihnen Christus, das Licht gezeigt. Sie haben den Menschen ihr Herz geöffnet, damit sie durch dieses Herz hindurch eine Ahnung des Himmels bekommen konnten. Und sie haben diese von Herzen kommende Botschaft sogar am Ende mit ihrem Blut unterschrieben.

Die Botschaft, die der hl. Paulus in seinem Brief an die Philipper, aus dem wir heute gehört haben, so auf den Punkt bringt: „… unsere Heimat ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes … .“ Auch damals war diese Botschaft – ähnlich wie heute – eine Störung in der dekadenten Ruhe des untergehenden Imperium Romanum, in dem die Menschen – ähnlich wie heute – religiös unempfänglich geworden waren.

In unseren Tagen der grandiosen Verwirrung in den Fragen, was die Kirche ist und was ihre eigentliche Sendung ist, erscheint es wichtig, daran zu erinnern, was die Aufgabe der Apostel und ihrer Nachfolger, der Bischöfe sein soll: glühend zu glauben, ein Vorbild darin zu sein, wie es der Apostel Paulus heute im Philipperbrief von sich sagt – ein Vorbild, an dem sich andere aufrichten können – und sich zu sorgen, wenn sie sehen, daß die ihnen Anvertrauten „Irdisches im Sinn“ haben, wie Paulus sagt, das heißt m. a. W., den Glauben daran vergessen, wo unsere Heimat ist. Denn das, so scheint es, ist heute gründlich aus den Augen geraten.

Der Bischof als Nachfolger der Apostel ist der, der auf eine Wirklichkeit zeigt, die die Augen unsers Körpers nicht sehen können, die aber alles entscheidend ist.
Der Bischof soll denen der Führer durch die finstere Höhle einer oft hoffnungslosen Alltagswelt sein, die den Ausgang suchen und nicht finden können, er soll vom Licht erzählen, das er in seinem Herzen sieht, weil er glaubt, daß seine Vorgänger, die Apostel, es gesehen haben.
Der Bischof soll zu allen Menschen, die den Ausweg aus den Gefängnissen ihrer Alltage suchen, sagen: „Kommt, habt Vertrauen, fürchtet Euch nicht! Ich sehe was, was Du (noch) nicht siehst: das Licht des Tages, das in die Höhle der Alltagshölle hineinstrahlt, wenn man den Ausgang gefunden hat. Denn in der Höhle der abgründigen „Lebenswirklichkeiten“ und der rein menschlichen Maßstäbe wirst Du es nicht finden!“

Wenn unsere Bischöfe nicht mehr von dem zu sprechen wagen, was sie an Licht empfangen haben, was sie an Glauben, an Gotteserkenntnis, an Vertrauen auf Christus im Herzen tragen, weil es quer steht zu den Tagesmeinungen, dann wird niemand den Weg zum Ausgang finden können. Und das wäre tragisch!
Also: beten Sie deswegen viel für die Apostel unserer Tage, beten Sie für unseren Bischof Helmut und alle Bischöfe. Damit sie den Mut finden, in den Tälern den Menschen, die ihnen anvertraut sind, Wegweiser zu sein. Wegweiser, die nicht nur am Straßenrand stehen, sondern die vorangehen. Und dann, wenn die Reise im Stau und in der Orientierungslosigkeit zu erlahmen droht, den Menschen sagen: „Ich sehe was, was Du nicht siehst!“


Predigt am zweiten Fastensonntag, Lesejahr C, 13. März 2022, Evangelium: Lk 9, 28b-36
„Während Er betete, veränderte sich das Aussehen Seines Gesichtes.“

Bild: pixabay

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