So froh wir sind, dass wir Ostern feiern dürfen – halbwegs so, wie wir es gewöhnt sind – es liegt dennoch eine bleierne Schwere über der Welt.
Kurz vor den Feiertagen versetzte auch noch die BILD-Zeitung ihre Leser in Angst und Schrecken. „Das zweite Lockdown-Ostern steht kurz bevor.“, schrieb das Blatt heute vor einer Woche, „Und jetzt auch noch das: Die Ostereier werden knapp!“ Grund: Es grassiert die Geflügelpest, in vielen Orten dürfen Hühner ihre Ställe nicht mehr verlassen. Also auch die Hühner im Lockdown …
Ein typisches BILD-Zeitungsproblem, möchte man denken. Da geht die Welt unter in Virusterror und Gesundheitsaktionen, da verlieren Menschen Arbeit, Lebensmut und manchmal sogar das Leben selbst und die BILD hat keine anderen Sorgen als der Frage nachzugehen, ob wir genügend Ostereier haben.
Andererseits: die Ostereierproblematik zeigt in ihrer Aufmachung, was in aller Regel von Ostern übrig ist im öffentlichen Leben: Ostereier, Frühlingsfreizeit, ein nettes Frühstück, Lammfilets mariniert und Osterhasen aus Schokolade.
Es ist deswegen nicht sehr erstaunlich, daß die Kanzlerin angesichts der steigenden Infektionszahlen zu Ostern eine Vermeidung von Gottesdiensten angedacht hatte. Sie sollten – wie so vieles offenbar im Kürbereich des Lebens Angesiedelte und mithin Überflüssige – wegfallen und Platz für die Volksgesundheit machen.
Man kann einen solchen Vorschlag gut nachvollziehen, wenn man in Augenschein nimmt, dass in der Tat die Mehrheit unserer Mitmenschen keinen blassen Schimmer davon hat, was wir hier feiern und warum wir es gerne nicht nur digital, sondern analog mit Feuer und Wasser, Halleluja und kultischem Essen und Trinken begehen.
Ostern ist den meisten ein Rätsel. Ein Gottessohn, der sterben muss und anschließend wieder aufersteht, ein Kreuz, das als Marterpfahl plötzlich ein Siegeszeichen wird, ein Grab, in das die Leiche eines eigentlich doch allmächtigen Erlösers gelegt wird, Leinenbinden, die sich nach drei Tagen in dessen Grab finden und die von einem unerklärlichen Verschwinden Seiner Leiche künden, verwirrte Anhänger, die es schwer haben zu glauben, was ihnen gesagt wird: dass ihr getöteter Meister wieder lebt und dass alles das so kommen musste, dass erst durch den Tod des Gottessohnes die Menschheit eine verlorengeglaubte Hoffnung wiederbekommen sollte. Alles irgendwie paradox, gegen den Strich gebürstet – damals schon für die Jüngerschaft Jesu Christi, und heute erst recht für eine Welt, die sich von solchen Gedanken wie Ewigkeit, Tod und Auferstehung lange gelöst hat.
Umso mehr für uns ein Anlass, Ostern – gerade in diesem Jahr – bewusst in all seiner Widersprüchlichkeit neu schätzen zu lernen. Gerade jetzt liegt der ganze Reichtum der Hoffnung in diesem Fest, das uns wie kein anderes zeigt, wie sich Gott das Leben gedacht hat. Er hat es auf eine unnachahmliche Weise klargemacht. Er hat es durchlebt, wie man lebt. Und Er hat es durch die freiwillige Hingabe Seines Sohnes mit Seinem Blut besiegelt. Das Leben kann nur ins Ziel kommen, wenn man liebt. Das Leben kann nur es selbst sein, wenn es sich hingibt, das Leben kann nur bewahrt werden, wenn es die Liebe lebt und – weil die Liebe nichts anders ist als ein Sich-schenken – wird das Leben sich nur dann selbst überleben können, wenn es sich loslassen kann. Dies ist die klare und doch für die Mehrheit der Menschen, mit denen wir zusammenleben, unverdauliche Botschaft dieser österlichen Tage.
Die Paradoxie von Ostern und damit des Kerns unseres christlichen Glaubens, ist, dass nicht im Bewahren, Behalten und Besitzen das Leben liegt, sondern im Weggeben. Christus hat es ein für allemal klargestellt, dass es Ihm nicht um weise Sprüche, sondern um Seine Hingabe, um Sein Opfer am Kreuz geht. Petrus, der das im Vorfeld nicht verstehen will und mit dem Schwert kämpfen will, damit das nicht passiert, wird von Christus „Satan“ genannt, weil er – wie der Herr zu ihm sagt – nicht das will, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Und die Menschen wollen eben immer behalten, Sterben verhindern, den Tod verjagen. Petrus versteht bei dieser Diskussion noch nicht, dass es jedoch genau bei der Ankündigung des Todes des Messias selbstverständlich darum geht, den Tod zu verjagen, aber nicht durch Vemeidung, sondern durch das freiwillige Lebensopfer des Erlösers. Der Tod wird verjagt durch Sterben. Alles Große, Heilige, Ewige und auf immer Lebendige ist nur zu haben durch Liebe – und das heißt durch Sterben, durch das Aushauchen und Abgeben dessen, was uns an uns selbst, an unser vergängliches Leben bindet.
In Freiheit hat Christus sich in Haft nehmen lassen und ans Kreuz heften, um Seine Liebe genau dadurch zu entfesseln. Und um uns die Fesseln ebenfalls abzunehmen, die uns Endlichkeit, Verfall, Sünde und Angst auferlegen.
Frei werden wir, wenn wir den Blick umwenden und uns davon lösen, dahin marschieren zu wollen, wo alle sagen: Da ist das Leben, die Freiheit, das Glück. Und unseren Weg gegen die Einbahnstraßen dieser Welt zu machen, die zwar breit angelegt sind, aber schließlich an der Wand enden – da wo sie eigentlich das Leben erreichen wollten. Die Fahrtrichtung, die uns Ostern empfiehlt, ist die entgegengesetzte: sie erreicht das Leben durch den Tod – den täglichen kleinen Tod unserer selbst, um in der Liebe das Leben zu gewinnen, das nicht vergeht.
Das heißt, daß wir keine Geisterfahrer sind, wenn wir entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung das Leben leben.
Wer sich mit Christus auf den Weg begibt, geht einen Weg des Liebens und deswegen des Sterbens. Er läuft nicht dem Leben nach, das vergänglich ist, sondern sucht das Leben, das unvergänglich ist. Und geht deswegen des Weg in die andere Richtung, dahin, wo man das Festhalten alles dessen, was vergänglich ist, abgeben kann und es eintauscht in die Kraft der Auferstehung, die jeder spüren kann, der es gelernt hat, mit Christus zu sterben. Jede Selbstüberwindung, jedes Vertrauen auf Gott, jeder Akt des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe bedeutet Abstand nehmen von unserem alltäglichen Klammern an vergängliche Angebote. Und wandeln es in befreites, gelöstes, erlöstes Leben, dass sich sicher sein kann, sich nicht zu verlieren, weil es bereits in dem Augenblick auferstanden ist, wo es sich loslässt.
Das sind – heute am Ostermorgen – entscheidende Gedanken, die helfen zu leben, obwohl man vom Tod umlagert ist. Sie helfen gelassen zu sein und getröstet, entbunden von den Sorgen, alles womöglich zu verlieren. Denn wir haben einen Erlöser, der die Sinnlosigkeit eines „Lebens zum Tode“ gebrochen hat und dem Leben einen neuen Sinn gab, in dem Augenblick, in dem Er für uns gestorben ist. Seither sind wir erlöst von der Last, uns selbst eine Zukunft bereiten zu müssen.
Foto: Albrecht Fietz, pixabay